Die Oberfläche hat für gewöhnlich keinen guten Stand. Angefangen beim antiken Mythos von Narziss, der dem eigenen, nur oberflächlich vorhandenen Spiegelbild in unstillbarer Sehnsucht erliegt, bis hin zur Mode, die den Blick des Anderen von unserem nackten oder gar ›wahren‹ Ich ablenken und ein bestimmtes ›Image‹ kreieren soll. Die Oberflächlichkeit ist dementsprechend seit jeher nicht nur mit Flachheit, sondern auch mit der Vorstellung eines Trügerischen verbunden. Gleichzeitig bildet sie jedoch – und darin liegt ihr spezifisches Potenzial – den einzig möglichen Ausgangspunkt für die sinnliche Wahrnehmung des Menschen, um sich mit der »Tiefe der Dinge« auseinanderzusetzen. Geleitet von diesem denkerischen Ausgangspunkt der Phänomenologie wollen wir uns in diesem Seminar mit Fragen nach der Beschaffenheit von Oberflächen, und damit einhergehend mit Fragen nach Verflachung und Verkörperung, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Dichte und Porosität sowie Optik und Haptik beschäftigen.
Im Verlauf des Seminars werden wir theoretische Ansätze zu einer Ästhetik der Oberfläche diskutieren, darunter Positionen aus der Kunsttheorie, der Medientheorie und der Philosophie. Ergänzend dazu analysieren wir Beispiele aus der Malerei über Fotografie und Film bis hin zu digitalen Oberflächen, virtuellen Umgebungen, 3D-Ganzkörper-Scannern und ASMR. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Untersuchung von Oberflächen als Orten der Projektion und Reflexion, an denen sich Fragen nach Körperlichkeit und der materiellen Kultur verhandeln lassen.
- Lehrkraft: Franziska Barth
- Lehrkraft: Ana Maria Horlacher
Seine Entdeckung des Unbewussten bezeichnete Sigmund Freud einmal als eine der großen Kränkungen des modernen Menschen. Um 1900 hatte der Arzt und Neurophysiologe herausgefunden, dass wir noch nicht einmal in unserem eigenen metaphorischen Haus – unserem Selbst – herrschen. Er hatte damit das Rätsel, das wir für uns oft darstellen, auf einen Begriff gebracht. Aus der Perspektive von Kunst und Kultur war diese Kränkung allerdings äußerst produktiv. Denn sie löste eine Explosion an neuen Behandlungsansätzen, theoretischen Entwürfen und künstlerischen Praktiken aus – von der Redekur über den Surrealismus bis in die politische Philosophie hinein. Sie versprachen Aufklärung über das komplizierte Verhältnis von Ich, Es und Über-Ich genauso wie Einblick in die Wechselwirkungen zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft. Seit einigen Jahrzehnten ist allerdings eine seltsame Schieflage zu beobachten: Einerseits ist die Psychoanalyse zunehmend in Misskredit geraten. Viele ihrer zentralen Annahmen darüber, was als normal und was als krank gelten muss, wurden aus feministischer, queerer und postkolonialer Perspektive einer scharfen Kritik unterzogen. Auch in der therapeutischen Behandlung haben ihr längst andere Verfahren den Rang abgelaufen. Andererseits arbeiten sich Gegenwartsdeutungen mehr schlecht als recht daran ab, Phänomene wie den Rassismus oder den Populismus zu erklären, die offensichtlich an die Gefühlsebene auch des Politischen rühren. Und auch die oben genannten Kritiken bezogen ihr Material nicht selten aus der Psychoanalyse selbst und trugen so zu ihrer Weiterentwicklung bei. Das Seminar fragt deshalb danach, ob die Psychoanalyse auch heute noch einen Beitrag zum Verständnis und zur Verständigung leisten kann. Dazu führt es entlang zentraler Texte Sigmund Freuds in Grundlagen der Psychoanalyse als Kulturtheorie ein.
- Lehrkraft: Morten Paul
Die Fotografie dürfte, historisch betrachtet, das erste Bildmedium sein, dessen Entstehung und Entwicklung von Anfang an durch theoretische und historiografische Überlegungen intensiv begleitet worden ist. Schon immer scheint es einen hohen Bedarf danach gegeben zu haben, zu klären, was Fotografie eigentlich sei. Die stets im Wintersemester ausschließlich für die Erstsemester aller Bachelor-Studiengänge des Fachbereichs Gestaltung angebotene Einführung in Theorie und Geschichte der Fotografie will eine solche Feststellung ernst nehmen und sowohl aus historischer wie aus systematischer Perspektive danach fragen, wie sich die unter dem Namen ‚Fotografie' angesprochenen Verfahren zur Produktion von Bildern genauer beschreiben und denken lassen.
Hierfür sollen verschiedene Handlungsweisen genauer diskutiert werden, die im Lauf von fast zweihundert Jahren Fotogeschichte eine wichtige Rolle eingenommen haben. Dazu gehören Praktiken wie das Porträtieren, Spielen, Messen, Berichten, Inszenieren, Sammeln oder Verteilen. Sie alle haben dazu beigetragen und tragen weiterhin dazu bei, unsere Idee vom Fotografischen zu formen. Das Seminar wird historische wie zeitgenössische Fotografien in den Blick nehmen, um auf diese Weise an einem Panorama unseres Handelns mit Fotografien zu arbeiten. Dies kann nie anders aus ausschnitthaft geschehen – doch werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars im Lauf des Semesters an einem eigenen Fotoalbum arbeiten, das diese Beispiele um selbst gewählte erweitern wird.
- Lehrkraft: Francisco Vogel
Der Zusammenhang von Farbe und Fotografie ist uns heute ganz selbstverständlich. Dabei ist die fotografische Darstellung von Farbe auf unterschiedlichen Ebenen äußerst voraussetzungsreich und historisch, ästhetisch und nicht zuletzt auch politisch wenig selbstverständlich.
Auch wenn die technischen Möglichkeiten eines zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch jungen Mediums vor allem monochrome oder nachkolorierte Darstellungen erlaubten, war Farbe seit ‚Erfindung‘ des Fotografischen eine stete diskursive Referenzgröße. Sie stellt in veränderter Form bis heute ein mitunter paradoxes Begehren dar, das von gleichermaßen Brüchen und Kontinuitäten durchsetzt ist. So verdeutlichen Debatten um die Rolle der Farbe in künstlerischer oder kommerzieller Fotografie nicht nur ökonomische Versprechen chromatischer Wirkungspotentiale, sondern vor allem auch ihre diskursive und historische Aushandlung, die keineswegs so natürlich ist, wie die Farben erscheinen (sollen). Dies zeigt sich nicht zuletzt auch dadurch, dass sich technologische Epochen retrospektiv gut anhand ihrer Farbdarstellungstechniken bestimmen lassen, und Vergangenheit umgekehrt oft eigentümlich gefärbt wird.
Farbe als Distinktionsmarker von Realität und ihre Authentifizierungsfunktion umfassen ein breites Spektrum von farbtreuer wissenschaftlicher Erfassung über soziale Phänomene wie #nofilter bis hin zur nachträglichen Kolorierung historischen monochromatischen Materials in Dokumentationen und Colorizer-Apps. Dabei sind solche Ästhetiken als Wissenspraktiken stets auch politisch, beispielsweise wenn es um die Darstellung von Hautfarben geht und farbfotografische Bilder etwa zu polizeilichen oder diagnostischen Zwecken genutzt werden.
Eine historisch informierte Kritik fotografischer Farbe scheint deshalb vor dem Hintergrund gegenwärtiger Debatten besonders interessant und muss gleichermaßen technische, ästhetische und politische Perspektiven verknüpfen.
Anhand verschiedener gemeinsamer Lektüren aktueller Forschungsliteratur erarbeiten wir uns ein differenziertes Bild von Theorien der Farbe, historischen Prozessen und Diskursen fotografischer Farbdarstellung, sowie ihren epistemologischen und politischen Implikationen.
Zielgruppe:
Wissenschaften B – Theorie und Geschichte der Fotografie
B.A. Foto (PO 2019-2023)
ab 2. Semester Foto
Offen ab 3. Semester KD und PD
- Lehrkraft: Jakob Schnetz
Es sei eine Fehlannahme, so Daniel Rubinstein, dass man sich Fotografie vor allem visuell annähern muss. Schon seit Langem werden täglich eine Vielzahl an fotografischen Bildern produziert, bei denen sowohl das menschliche (An-)sehen, als auch ihre human agency immer mehr in den Hintergrund rücken. Beispiele hierfür sind Bilder von Drohnen, Überwachungskameras, Radarfallen im Straßenverkehr, Satelliten, Körperscanner usw. Bisherige Theorien der Fotografie, so urteilt Rubinstein, erweisen sich als völlig ungeeignet, um diese Gegenstände theoretisch zu erfassen, kreisen sie doch stets um „die heilige Dreifaltigkeit von Repräsentation, Index und Punctum“. Rubinstein beobachtet im hier zitierten Essay zum digitalen Bild [Rubinstein 2020] zwar treffend die Veränderungen in unserer gegenwärtigen Bildkultur, seine spitze Kritik am dürftigen Theorieangebot können wir jedoch anzweifeln. Die Geschichte der Fotografie anhand des Wechselspiels von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zu diskutieren ist gewiss kein neuer Ansatz mehr. Angesichts der technischen Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit des Mediums, durch die sich Bildproduktion und -rezeption immer mehr in Maschinen und Computer verlagern, erlangen diese Pole scheinbar wieder an Konjunktur. Beeinflusst vom New Materialism stellen fototheoretische Auseinandersetzung dabei immer stärker die Rolle des Menschen als universellen Referenzpunkt infrage. Im Rahmen des Seminars widmen wir uns der Lektüre der zentralen Texte des hier umrissenen Feldes und diskutieren Begriffe wie der des operationalen Bildes [Forocki] und der nonhuman photography [Zylinska]. Entlang dieses Diskurses entfalten sich eine Vielzahl angrenzender Fragen: Welche Auffassung von Bild und Bildlichkeit liegt diesen Ansätzen zugrunde? Welche Bedeutung erhalten die Aspekte Skalierbarkeit und Format? Und wie formt das unseren Fotografiebegriff?
- Lehrkraft: Vera Knippschild