Sich zu situieren – das heißt den eigenen Standpunkt zu benennen und zu reflektieren, welche Verortung meinem Sprechen vorausgeht, ist eine Kernpraxis der Gegenwart geworden. Problematisch erscheint es dagegen von „nirgendwo“ aus zu sprechen, scheinbar „objektiv“ oder gar „neutral“ und damit die eigenen Voraussetzungen für das Handeln und Sprechen nicht reflexiv auf die Situation zu beziehen. Donna Haraway, auf die das Konzept der Situiertheit maßgeblich zurückzuführen ist, nannte dies den „göttlichen Trick“. Haraway kritisiert damit die Vorstellung, dass Wissen von einer unverkörperten und allwissenden Perspektive aus erlangt werden könne. Stattdessen plädiert sie dafür Wissen stets im Kontext sozialer Gefüge und historischen Verortungen zu begreifen. 

Um ihre Argumentation zu illustrieren setzt sich Haraway im zweiten Teil ihres kanonisch gewordenen Essays konzentriert mit Aspekten der „Vision“ auseinander, d.h. sowohl mit dem Blick, dem sie Potenzial zuschreibt Binaritäten zu vermeiden, sowie diverse Bildgebungsverfahren: vom Ulltraschallgerät und der Mikroskopie bis hin zur Satellitenüberwachung und natürlich der Fotografie. Diese „Visualisierungsinstrumente“, so Haraway, haben lange Zeit als Brennglas für eben jene Illusion der Positionslosigkeit gedient. Es gilt – und dies versteht Haraway als ein feministisches Unterfangen –, in ihnen wieder die Verkörperung und Partialität zu suchen. 

Im Rahmen des Seminars widmen wir uns einem Close Reading des zentralen Essays von Donna Haraway zum „Situierten Wissen“ aus dem Jahr 1988 und blicken ergänzend auf Beispiele aus der fotografischen Praxis: von der autoethnografischen Reflexion des Forscher*innen-Ichs (Behrend 2020) bis zur kritischen Befragung der Rolle des Fotografierenden im Künstler*innenbuch (Depoorter 2021).