In den 1960er Jahren entstand eine neue Forschungsrichtung, die sich interdisziplinär, also fächerübergreifend verstand und die Bedeutung von Kultur als Alltagspraxis erforschen wollte: die so genannten Cultural Studies bzw. (kritischen) Kulturwissenschaften. Dadurch wurden auch Pop- und Populärkulturen erstmals als Gegenstand der akademischen Kunstbetrachtung anerkannt und institutionalisiert. Stuart Hall (geb. 1932 in Kingston, Jamaika) ist einer der Mitbegründer und wichtigsten Vertreter*innen der britischen Cultural Studies. 2024 jährt sich der Todestag des Intellektuellen, kritischen Soziologen und politischen Aktivisten zum zehnten Mal.

Das Seminar versteht sich als Einführung in Halls Schriften und politische Praxis und möchte seine Auseinandersetzung mit Begriffen wie „Artikulation“, „Kultur“, „Identität“, „Ideologie“, „Ethnizität“, „Repräsentation“, „Dekodierung“, „Policing“ und „Thatcherism“ im Kontext von pop- und populärkulturellen Praktiken (wie z. B. Mode, Werbung, Medienkonsum) diskutieren. Nicht zuletzt zeichnet Hall aus, dass er viele seiner Texte, die er selbst einmal als „unfinished conversation“ („unvollendetes Gespräch“) bezeichnet hat, kollektiv und kollaborativ verfasst hat: mit Studierenden, Sozial- und Kulturwissenschaftler*innen und im Austausch mit Künstler*innen.

In der Popmusik war das Verhältnis von politischer und physischer Stimme stets ein besonderes. So wie im Folkrock der 1960er Jahre die unterrepräsentierte Stimme zugleich „die sexy ungeschminkte, entblößte und kunstlose Stimme“ (Diedrich Diederichsen, 2014) war, brachte die zunehmende Autonomie der Sänger*innen als Songwriter*innen ein Mehr an Fürsprache für diejenigen mit sich, die bis dahin kein Rederecht hatten. Zugleich ermöglichte die Mikrofontechnik Verfremdungen wie das bewusst körnige, markante oder leise Operieren mit einer physisch eigentlich starken Stimme im Fall von Frank Sinatras Crooning, aber auch einen Bruch mit den humanistischen Traditionen, die mit der Stimme verbunden sind, wie einst bei Kraftwerk oder nun bei Elysia Crampton.

Wenn heute Popmusiker*innen wie Moor Mother die Diskriminierung von People of Color anklagen oder wie Lolina die normative Selbstoptimierung des Neoliberalismus mit Konzepten der Langeweile und Erschöpfung konfrontieren, kann dies ganz im Sinne einer Aktualisierung popmusikalischer Repräsentationskritik gelesen werden – zumal dann, wenn die Stimme an einen Text gekoppelt ist. Anhand historischer wie zeitgenössischer Beispiele der Popmusik möchte sich das Seminar der eigentümlichen Beziehung von Stimmband und Abstimmung widmen und im größeren Zusammenhang der Frage nach dem Verhältnis von Popmusik und Politik diskutieren.

Am 11.01.2024 um 19:00 Uhr wird es einen öffentlichen Artist Talk mit Lolina am Institut geben. Am 12.01.2024 wird Lolina zudem einen Workshop für alle Seminarteilnehmer*innen anbieten.

In dem Kurs werden klassische und aktuelle Popmusik-Beispiele analysiert und als Ausgangspunkt für eigene Kompositionen genutzt. Die Produktion von Demos stellen wöchentliche Hausaufgaben dar.