In der Geschichte der Popmusik war das Verhältnis von politischer ("votum") und physischer Stimme ("vox"/"voice") stets ein besonderes. So war im Folkrock der 1960er Jahre die unterrepräsentierte Stimme zugleich „die sexy ungeschminkte, entblößte und kunstlose Stimme“ (Diedrich Diederichsen, 2014): Bob Dylan, Janis Joplin etc. Aber auch der zunehmende Erfolg von Sänger*innen als Songwriter*innen brachte ein Mehr an Fürsprache für diejenigen mit sich, die bis dahin kein Rederecht hatten (Frauen, Arbeiter*innen, BIPoC). Zudem ermöglichte die Mikrofontechnik Verfremdungen wie das bewusst körnige, markante oder leise Operieren mit einer physisch eigentlich starken Stimme wie im Fall von Frank Sinatras Crooning, aber auch einen Bruch mit den humanistischen Traditionen, die mit der Stimme verbunden sind, wie einst bei Kraftwerk oder später bei Missy Elliot. Unter den aktuellen Bedingungen von AI-gestützter und -generierter Musik (von Holly Herndon über Grimes bis zu abertausend gefälschten Drake-Songs) stößt dieser Bruch mit der Stimme als etwas genuin menschengemachtes zuweilen auch an rechtliche Grenzen. Fragen nach Autor*innenschaft und geistigem Eigentum stellen sich neu: "What does it mean to be an artist when anybody can create as you?" (Mat Dryhurst, 2023)

Anhand historischer wie zeitgenössischer Beispiele der Popmusik möchte sich das Seminar der eigentümlichen Beziehung von Stimmband und Abstimmung widmen und im größeren Zusammenhang der Frage nach dem Verhältnis von Popmusik und Politik diskutieren.

Mit der Entstehung von Popmusik als Absatzmarkt für materielle Tonträger im Unterschied zum vormaligen Handel mit Partituren erweiterte sich auch die Idee von Popmusik von einer musikalisch verstandenen Klanglichkeit hin zu einer an die massenmediale Zirkulation von Bildern, Performances und technisch reproduzierbaren Klangaufnahmen geknüpften multimedialen Praxis. Musikalische Elemente wie Melodie, Harmonie und Rhythmus konnten so auf einmal mit von unterschiedlichen Medienkanälen (Fernsehen, Zeitschriften, Album-Cover etc.) getrennt voneinander kommunizierten Informationen zusammengefügt und rezipiert werden. Dass unter den aktuellen Bedingungen von Musik-Streaming-Angeboten der Absatz nicht-digitaler Tonträger zwar kontinuierlich schrumpft, jedoch auch die Möglichkeiten neuer Öffentlichkeiten über lokal-analoge Musikszenen hinaus zunehmen, kann daher als ein spezifischer Effekt des Zusammenwirkens von Markt, Technologie und Medienkonsum im Kontext popmusikalischer Produktion angesehen werden.

Das Seminar versteht sich als Einführung in medien- und kulturtheoretische Positionen der Theoriebildung von Popmusik und fragt, welches Verständnis von Kunst aus dem spezifischen „Medienverbund“ (Diedrich Diederichsen), den Popmusik beschreibt, folgt. Hebt eine hybride, multimediale Kunstform wie Popmusik die Vorstellung einer einheitlichen, aus verschiedenen Genres, Disziplinen und Praktiken bestehenden Kunst (und damit jeden Begriff von Kunst) auf? Oder lässt sich Popmusik, gerade weil sie eine eigenständige Kunstform darstellt, von anderen menschlichen Tätigkeiten umso zuverlässiger unterscheiden?

Ziel des Seminars ist ein methodisch-kritischer Überblick über zeitgenössische kunst- und medienbezogene Theorien und Praktiken an den Übergängen von Popmusik, bildender Kunst und Kino.