Popmusiker*innen sind einerseits mit Rollen identifiziert, die wie Theaterrollen funktionieren, andererseits sind sie mit ihrer privaten Person identifiziert. Insofern ist das Ich, das auf der Bühne, in Lyrics oder Interviews singt, spricht, spielt, in der Popmusik immer beides zugleich: authentisch/biografisch (z.B. prekär, mit ernstem Gesichtsausdruck oder in der Bronx aufgewachsen) und fiktional/inszeniert (durch Bühnennamen, Kostüm, Live-Performance etc.). Nun ist die Personalisierung von Popmusik, also der Fetisch der Authentizität von Popmusiker*innen, längst selbst zum Produkt geworden, das massenhaft verkauft werden soll: Unverstellt und echt soll die Geschichte sein, die uns Kendrick Lamar, Kim Petras oder Billie Eilish von sich erzählen. Zugleich ermöglichen solche Erzählungen aus der ersten Person Handlungsfähigkeit und Sichtbarkeit für diejenigen, die strukturelle Ungleichheiten wie Rassismus oder Sexismus erfahren.

Das Seminar möchte die Subjektform „Künstler*in“ und mit ihr einhergehende Stereotype (Star, Genie, kreativer Geist) kritisch untersuchen, wobei unterschiedliche Bilder, Konzepte und Techniken des Selbst diskutiert werden sollen. So wird auch zu ermitteln sein, inwiefern die Forderung nach Subjektivität und Selbstbestimmung mit bestimmten Vorstellungen von Autor*innenschaft einhergeht und welche Funktion der Kunst dabei jeweils zukommt: Ist Kunstmachen eine Tätigkeit, die von ökonomischen und anderen Zwängen weitgehend frei ist, oder drückt sich in der Idee künstlerischer Autonomie selbst eine Stress und Depression erzeugende Norm der Selbsterfindung aus? 

Da sich politische Mehrheitsverhältnisse in Kultur „als einer Produktion von geteilten, gemeinsamen Bedeutungen“ (Stuart Hall) ausdrücken, werden auch popkulturelle Praktiken als Formen des politischen Streits um und des Protests gegen Macht und Herrschaft beschreibbar: sei es, weil sie diesen Streit explizit machen (z.B. Musik von Doechii, Filme wie „Paris Is Burning“, Serien wie „Atlanta“ oder Romane von Virginie Despentes); sei es, weil ihre ästhetische Form indirekt mit bestimmten Macht- und Herrschaftsverhältnissen korrespondiert oder diesen entgegensteht. Wie können soziale Teilungen (rassistische, klassenmäßige, sexistische u. a.) als und in der Kritik von Popmusik thematisch werden?

Im Seminar sollen verschiedene Formen der Herrschaftskritik aus intersektionaler Perspektive diskutiert werden, d.h. mit Blick auf jeweils unterschiedliche, miteinander verknüpfte Macht- und Herrschaftsmechanismen. Dabei geht es nicht zuletzt auch darum, mögliche Kriterien zur Unterscheidung von Pop und Populärem zu etablieren, um die Grenze zwischen denen, deren gesellschaftliche Teilhabe durchgesetzt ist, und denen, die von den jeweils Herrschenden unterdrückt oder ignoriert werden, an Fragen nach der künstlerischen Form eines jeweiligen Songs, Films, Live-Auftritts etc. rückzubinden.